Die Welt ist im Wandel und alles muss sich den äußeren Umständen anpassen. Charles Darwin spricht vom “survival of the fittest” – ein Naturgesetz, nach welchem nur die Spezies überleben kann, die sich an ihre Umwelt anzupassen weiß. Diese Regel trifft letztendlich nicht nur auf Flora und Fauna, sondern auch auf unsere Handschrift zu. Im Laufe der vorigen Jahrhunderte hat sich die Art zu schreiben über Generationen und Kultur hinweg deutlich verändert. Zeichen nehmen andere Formen an, neue Buchstaben kommen hinzu und die Möglichkeiten, Gedanken in Schriftform festzuhalten, vervielfältigen sich.
Die Handschrift hat sich mit dem Menschen stetig weiter entwickelt und man könnte ihre Geschichte auch gleich der Unsrigen sehen. Schon im alten Ägypten meißelte man Hieroglyphen in Statuen mit der Annahme, dass ein einfacher Namensschriftzug diesen Leben einhauchen könnte. Die Macht, welche Schrift zugesagt bekam, war in vielen Kulturkreisen gigantisch und das Schreiben selbst hatte schon fast etwas Rituelles. Im Mittelalter kam das Kopieren biblischer Texte gar einem Gottesdienst gleich. Jede Kultur entwickelte über die Jahrhunderte ihre eigene Art der Handschrift.
Den Anfang der uns bekannten Schriftart setzten die alten Griechen mit einer Reihe dynamischer, in Zickzack angeordneter Zeichen, welche von den Römern dann im 2. Jahrhundert vor Christus übernommen wurde. Damals waren es noch schlichte, nur aus statischen Großbuchstaben bestehende Zeichen, die in Stein- und Tontafeln geritzt wurden. Erst später entwickelten sich aus diesen erste Kleinbuchstaben. Grund dafür war das Auftreten des schnellen Schreibens auf Papyrus, durch welches sich neue dynamische Schriftzeichen bildeten, deren Ecken abgerundeter waren und deren Setzung deutlich zusammenhängender erschienen. Im Laufe der Zeit bekamen Kleinbuchstaben auch Ober- und Unterlängen, wurden allgemein komplexer und verdienten sich dadurch ihre eigene Persönlichkeit – was sie gänzlich von den Großbuchstaben abgrenzte. Die heute bekannte Schreibschrift entstand etwa im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Sie wird jedoch nicht mehr unterrichtet und ist in vielen Bundesländern offiziell vom Lehrplan gestrichen worden.
Schreibschrift als Grundlage für Druckschrift
In einem Interview mit dem Focus äußert sich die Lehrerin und Autorin Maria-Anne Schulze-Brüning über die auftretenden Schwierigkeiten, welche alleine durch das Ausscheiden dieser Schreibart in der Schule zu beobachten sind: „In der Schreibschrift gehen Buchstaben fließend ineinander über, es entstehen feste Bewegungsspuren.“ So seien durch das Schreiben dieser Schriftart Kinder erst in der Lage, Faktoren richtig einzuschätzen, welche den Einstieg in die Druckschrift erleichtere. Denn Schreibschrift dient als Vorlage zur Druckschrift. Vielen fehle somit einfach der Zwischenschritt und dies wirke sich deutlich auf den Schreibstil aus.
Nach und nach finden nun auch Laptops ihren Weg in die Klassenzimmer. Sie hätten jedoch, anders als die Handschrift, keinen positiven Effekt auf die Entwicklung eines Kindes. Denn anders als beim Schreiben mit der Hand finden sich die oben genannten Punkte „beim Schreiben auf der Tastatur überhaupt nicht. Kinder formen keine Buchstaben, sondern zeigen nur auf Symbole. Ihr Blick wandert stets zwischen Tastatur und Bildschirm”, sagt Schulze-Brüning.
Schreiben fördert Geist und Entwicklung
In verschiedenen Studien wie der von Karin Jamesa und Laura Engelhardt zeigt sich, dass das Schreiben per Hand die Merkfähigkeit, die kindliche Entwicklung, aber auch die Kommunikation im Allgemeinen fördern soll und dessen Fehlen wohl deutliche Konsequenzen hat. Zudem ist Handschrift mehr als nur Schrift – sie sagt etwas über das innerste Selbst, ist ein Teil vom Schreiber und spiegelt dessen Persönlichkeit wieder. So lässt sich den Ergebnissen einer Studie von Farhana Rizvi und Malik Sikander Hayat Khiyal zufolge das Geschlecht, Alter und sogar die derzeitige Gefühlslage anhand der eigenen Schrift ablesen.
Wenn also die Handschrift verloren geht, verlieren wir weit mehr als nur eine weitere Form, Gedanken visuell auf ein Blatt Papier zu übertragen. Wir verlieren einen wichtigen Bestandteil unserer Entwicklung und sogar einen Teil von uns selbst. Jedoch steht die Zukunft noch nicht geschrieben – es obliegt ganz uns selbst, ob das Schreiben per Hand ausstirbt oder fortbesteht.
