Mit 83.156 Unterschriften ist es die erfolgreichste Bundespetition des Jahres 2017. Zur Bundestagswahl landete es zum wiederholten Male im Wahl-O-Maten nebst Bildungspolitik und Umweltschutz. Bei Fragerunden mit Politikern und jungem Publikum muss man nur die Minuten herunterzählen, bis die entscheidende Frage fällt: Wann wird endlich Cannabis in Deutschland legalisiert? Eine Frage, die die Nation spaltet. Ein Thema, das immer wieder zum Wahlkampf aufploppt. Und eine Vielzahl an Meinungen: Medizinische Verwendung, Entkriminalisierung, Legalisierung – ja oder nein?
Fakt ist: Der Handel, Besitz und Anbau von Cannabisprodukten ist in Deutschland ohne ausdrückliche Genehmigung illegal und wird anhand des Betäubungsmittelgesetzes mit empfindlichen Strafen bis zu mehrjähriger Haft verfolgt. Entscheidend bei der Beurteilung, ob geringe Menge oder nicht, ist der THC-Gehalt, also der Anteil am rauschwirkenden Stoff Tetrahydrocannabinol. Vermeintlich unterschiedliche Toleranzgrenzen in Bundesländern wie Bayern oder Berlin seien hingegen in der Praxis ein Mythos und kaum verlässlich, sagt Strafrechtsanwalt Clemens Louis, der sich auf Betäubungsmitteldelikte spezialisiert hat. Trotzdem ist immer wieder die Rede von einigen Gramm Straffreiheit.
Mehrheit der Deutschen ist gegen eine Legalisierung
Zumindest in medizinischer Sicht hat sich 2017 etwas bewegt: Seit vergangenem März dürfen auch Ärzte Wirkstoffe auf Cannabisbasis verschreiben, falls eine Behandlung von Zwangsstörungen und chronischen Schmerzen aussichtsreich erscheint. Bisher durften Patienten ausschließlich auf eine Ausnahmegenehmigung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hoffen. Zur besseren Versorgung wird ab 2019 eine staatliche Agentur errichtet, die eigenes Cannabis in Deutschland anbaut. „Bei der medizinischen Verwendung von Cannabis spricht man nicht von Konsum, sondern von der Einnahme entsprechender Präparate. Von politischer Seite besteht meist die Befürchtung, dass die medizinische Verwendung der erste Schritt zur generellen Legalisierung sein könnte. Das sind jedoch zwei verschiedene Themen“, sagt Franjo Grotenhermen. Er ist Arzt und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin und spricht im Audio-Interview näher über die Gesetzesänderung.
Der Trennung von Medizin und Rausch stimmen auch aktuelle Umfragen zu. 90 Prozent der Teilnehmer einer Spiegel-Umfrage sprechen sich für eine Erleichterung des medizinischen Cannabiszugangs aus. Der Forsa-Umfrage im November zufolge sind jedoch zwei Drittel der Deutschen gegen eine Legalisierung. Näher zu betrachten sind die jeweiligen Gruppen: Während die Skeptiker in der Tendenz eher weiblich, über sechzig Jahre alt und Anhänger der Union oder SPD sind, zeichnen sich die Befürworter eher als männlich, unter 30 Jahre alt und Anhänger der Linken, Grünen oder der AfD ab.
„Bei der Groko wird Drogenpolitik totignoriert“
Die medizinische Nutzung von Cannabis bereits ein bundespolitisches Thema, der Genusskonsum nur ein Internetphänomen unter jungen Leuten? Mitnichten. Tatsächlich spaltet sich das Lager der deutschen Parteienlandschaft: Während die großen Volksparteien CDU, CSU und SPD sowie die AfD zurückhaltend bis ablehnend reagieren, sehen die Linken, die Grünen und die FDP Chancen in der Legalisierung. Welch Ironie, dass zumindest im ersten Anlauf die große Koalition abgewählt und ein Jamaika-Bündnis ermöglicht wurde: Jamaika – das Sinnbild für Reggae und Rauchschwaden. Hätte unter der Koalition aus Union, FDP und Grünen eine Chance bestanden, Cannabis straffrei zugänglich zu machen? „Mit Jamaika als Regierung hätte die Entkriminalisierung auf jeden Fall einen Schub bekommen – vielleicht wären sogar Kleinstmengen entkriminalisiert worden. Die komplette Legalisierung hätte es wohl nicht gegeben. Aber mit der großen Koalition wird nichts passieren, da wird Drogenpolitik totignoriert“, meint Benjamin Klein von den Hanffreunden Braunschweig. Die Hanffreunde Braunschweig – ein von Benjamin Klein und Mitstreitern neu gegründeter Verein, der sich in Kooperation mit dem Deutschen Hanfverband für eine Legalisierung von Cannabis inklusive kontrollierter Ausgabestellen, Eigenanbau und Jugendschutz einsetzt. In Braunschweig veranstalten sie jährlich den „Global Marijuana March“ und versuchen, auf das Tabuthema Cannabis aufmerksam zu machen.
Schlagkräftigstes Argument für die Bedeutung von Cannabis in der Gesellschaft liefert die Bundesregierung jährlich selbst: Der Drogenbericht aus 2017 spricht von 7,8 Tonnen sichergestelltem Cannabis im vergangenen Jahr – der Anteil von Cannabishandel liegt bei 62 Prozent aller Rauschgiftdelikte. Der Cannabiskonsum steigt im Gegensatz zu Tabak und Alkohol in den vergangenen Jahren wieder leicht an: Es ist die am häufigsten konsumierte illegale Substanz, vor allem bei jungen Erwachsenen in der Altersspanne von 21 und 39 Jahren. Bei der Vorstellung des Berichts spricht sich die bisherige Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler alle Jahre wieder gegen eine Legalisierung aus: Die Verharmlosung einer Droge sei vor allem für die Jugend nicht zu verantworten. Mortler argumentiert vor allem mit dem Gesundheitsschutz und kritisiert den Druck der Cannabis-Lobby. Regelmäßig erntet sie Shitstorms dafür.
Teufelskreis Illegalität und Forschung
Es ist das Totschlagargument, welches Krankenkassen und Politiker vortragen, wenn es um die Legalisierung geht: Droge bleibe Droge und beeinflusse vor allem die Entwicklung im jungen Alter negativ. Noch dazu sind Langzeitwirkungen nicht abschließend erforscht. „Es herrscht generell viel Aufholbedarf: Was ist in den Stoffen drin, was macht es wirklich mit dem Gehirn? Nicht umsonst ist es seit März medizinisch erlaubt“, sagt Benjamin Klein, „das ist eben auch das Problem: Durch die Illegalität betreiben wir hier wenig Forschung. Israel zum Beispiel ist seit Jahren dabei und viel weiter in den Erkenntnissen. Und bei uns wird es einfach unter den Tisch fallen gelassen. Gibt’s nicht, ist illegal, das war’s.“ Dabei denkt Klein etwa an das im Oktober vom Bund abgeschmetterte Modellprojekt der Stadt Münster, die wöchentlich eine Kleinstmenge Cannabis an ausgewählte Probanden verteilen wollte, um die Langzeitwirkung zu testen. Das Urteil des Bundesinstituts: Medizinisch und ethisch nicht vertretbar. Ähnliche Projekte visierten bereits Bremen und Berlin an – immer abgelehnt unter der Begründung der Aussendung eines falschen Signals. „Ich sehe eine Legalisierung nicht als falsches Signal. Die Leute kommen sowieso damit in Berührung, gerade im schwierigen Alter zwischen sechzehn und zwanzig Jahren“, sagt Benjamin Klein dazu.
Für Jugendschutz und den verantwortungsbewussten Umgang mit Drogen setzt sich auch Petra Bunke ein. Sie ist Leiterin der Braunschweiger Suchtberatungsstelle DROBS, in der im vergangenen Jahr etwa 80 Prozent aller Klienten Hilfe zu übermäßigem Konsum von Cannabis suchten – allein oder vor allem in Verbindung mit Opioiden, also harten Drogen. Bunke ist seit 2001 in der Braunschweiger Stelle tätig, sie sagt, heute seien mehr junge Erwachsene wegen Cannabiskonsums in der DROBS als damals. Die Sozialpädagogin hält eine Entkriminalisierung für sinnvoll. Wenn Kiffen nicht mehr gleich eine Straftat wäre, würde das nicht nur den wichtigen Austausch unter Freunden und Familien fördern, sondern auch das Thema Drogen allgemein ins Gespräch bringen und somit mehr Präventionsmaßnahmen und Jugendschutz mit sich ziehen: „Austausch und Anvertrauen sind viel wichtiger als Plakate. Eigentlich müssten wir jede achte Klasse erreichen.“ Eine Legalisierung sieht Bunke hingegen skeptisch: Zu groß ist die Befürchtung vor einer schonungslosen Vermarktungsoffensive durch die Industrie. Außerdem sei die Regulierung einer möglichen Legalisierung nicht einfach so gemacht: „Das ist ja alles ein Rattenschwanz. Was alles dafür geregelt werden muss, das macht man nicht so ohne. Und mit Drogen will sowieso nie jemand etwas zu tun haben.“
„Mit Drogen will nie jemand etwas zu tun haben.“
Benjamin Klein plädiert jedoch für Änderungen: „Die jetzige Verbotspolitik ist komplett gescheitert. Immer mehr Länder sehen das ein, nur wir bislang nicht. Es gab etwa 140.000 Strafverfahren im letzten Jahr wegen Kleinstmengen Cannabis. Das würde wegfallen und die Gerichte und Polizei entlasten.“ Doch sind es gerade die Polizeigewerkschaften, die sich gegen eine Legalisierung von Cannabis aussprechen: Von einer legalen Abgabe von Cannabis unter staatlicher Aufsicht sei abzusehen, weil der Staat keinesfalls zum Dealer werden dürfe, sagt die deutsche Polizeigewerkschaft DPolG: „Aufgabe des Staates ist es, Strafverfolgung und Prävention zu gewährleisten und nicht, den Bürgern den Drogenkonsum zu erleichtern.“ Allerdings sagt die deutsche Polizeigewerkschaft ebenso, dass eine Korrektur am derzeitigen Umgang mit Cannabis angebracht sei, um Polizisten um Arbeit zu entlasten. „Wir brauchen dringend eine wissenschaftlich fundierte Regelung für Cannabiskonsumenten im Straßenverkehr, insbesondere einen THC-Grenzwert, der die Verkehrssicherheit aufrecht erhält, aber nicht nüchterne Fahrer diskriminiert, weil sie noch unwirksame Restwerte von THC im Blut haben“, sagt Georg Wurth, Vorsitzender des Deutschen Hanfverbands.
Besteht somit überhaupt eine Chance, Cannabis in Deutschland zu legalisieren? Alle von Campus38 angefragten Politologen sagen ab: Eine Prognose möchte keiner wagen, auch, weil sich bisher mit dem Thema zu wenig auseinandergesetzt wurde. Geht es nach Rechtsanwalt Louis, trügt das in manchen Medien transportierte Bild von Aufbruch: „Viele Mandanten haben das Gefühl, dass wir auf dem Weg sind, Cannabis in Deutschland zu legalisieren beziehungsweise Modelle zu verfolgen, die eine Entkriminalisierung wieder ermöglichen. Das Betäubungsmittelgesetz spricht hier eine ganz andere Sprache und es ist nicht abzusehen, dass der Gesetzgeber eine Änderung anstrebt.“ Benjamin Kleins Prognose ist optimistischer: „Beim letzten Global Marijuana March habe ich schon gesagt, wir müssen eh bis zum nächsten Wahlkampf warten, von daher schauen wir mal.“ Georg Wurth stimmt zu: „Mittlerweile sind wir so gut aufgestellt, dass uns die Politik gar nicht mehr ignorieren kann. Wann es soweit sein wird, hängt von vielen Faktoren ab, die nicht genau vorhersehbar sind. Ich halte es aber zumindest für möglich, dass es in der nächsten Legislaturperiode soweit sein könnte.“
Nur ein Konsens klingt synchron durch: Beide Seiten, ob pro oder contra Legalisierung, wünschen sich mehr Aufklärung über die Wirkung von Cannabis, um vor allem die Jugend zu schützen. Verwunderlich ist nur, dass bislang wenig passiert ist – der Rauch nach jedem Wahlkampf wieder verflogen.
