Mal ehrlich: Es gibt so viele unterschiedliche Ausbildungsberufe und Studiengänge. Würdet ihr darauf kommen, eine Ausbildung oder ein Studium in der Landwirtschaft zu absolvieren? Zwar könnte man dann von sich behaupten, man leiste einen wichtigen Beitrag zur Ernährungssicherung, für Energie und Rohstoffversorgung. Aber wer möchte heute schon sein Leben lang im Kuhstall zwischen Mist, Kühen und Melkrobotern verbringen? Jeden Sommer monatelang, Bahn für Bahn mit dem Trecker auf den Feldern fahren?
2014 haben rund 9.100 junge Menschen eine Ausbildung als Landwirt absolviert, wie das Bundeslandwirtschaftsministerium, kurz BMEL, verzeichnet. Die Zahl der Studierenden im Bereich Agrarwissenschaften ist erneut um knapp zwei Prozent auf 17.700 gestiegen (Stand: 2015/2016) – rund doppelt so hoch wie vor 15 Jahren. Dennoch haben viele junge Menschen kaum noch Berührungspunkte mit der Landwirtschaft. Die Grundversorgung ist stabil. Kaum vorstellbar, dass Butter-, Milch- und Mehlfächer im Supermarkt mal leer bleiben. Das Einzige, was passieren kann, ist, dass ein Trecker auf der Landstraße mit 40 km/h herumkriecht und die Gülle auf den Feldern unangenehme Gerüche verbreitet. Dachte man zumindest bis zu diesem Rekordsommer.
Den Sommer auf dem Feld verbringen
Häufiger schafft es die Landwirtschaft jedoch in die Nachrichten mit anderen Themen. Dann wird von Glyphosat, Bienensterben, verunreinigten Eiern oder dem Leiden der Bauern unter dem niedrigen Milchpreis berichtet. Im Supermarkt überlegt vielleicht der ein oder andere, welche Eier wohl die bessere Wahl sind. Die billigen aus der Bodenhaltung oder doch die doppelt so teuren Bioeier. Die meisten dürften es wohl kaum vorstellbar finden, aufs Land zu ziehen, sich ein Urlaubsverbot von Ende Juni bis Herbst aufzuerlegen, um die schönste Zeit des Jahres mit Arbeit auf dem Feld zu verbringen. Für einige ist das allerdings der Lebenstraum.
Florian Schwartz ist Landwirt. Eigentlich wollten seine Eltern mit ihm nur einen ruhigen Urlaub im Weserbergland auf dem Lande verbringen, wo die Hähne morgens krähen, die Kühe gemolken werden und der Trecker übers Feld fährt. Niemals hätten sie gedacht, dass es sein ganzes Leben prägen würde. Das war 2003. „Am Abreisetag hat sich Flori irgendwo auf dem Hof versteckt und hat später unter Tränen gesagt, er wolle nicht zurück. Wir mussten ihm versprechen, wieder zu kommen“, erzählt seine Mutter schmunzelnd. Sie dachte, es wäre nur eine Phase mit der Landwirtschaftsliebe, denn sie und ihr Mann arbeiten im öffentlichen Dienst und haben überhaupt nichts mit der Landwirtschaft zu tun. Doch für den Jungen war es nicht nur eine Phase. Nach vielen Sommerurlauben auf dem Bauernhof, die die Familie hinter sich hatte, begann Florian Schwartz nach seinem Realschulabschluss die Lehre als Landwirt. Heute ist der 21-Jährige mit seiner Ausbildung fertig und macht zurzeit seine Weiterbildung zum staatlich geprüften Agrarbetriebswirt, um später einen Betrieb leiten zu können.

In der deutschen Landwirtschaft arbeiten eine Million Menschen in rund 285.000 Betrieben mit Waren im Wert von mehr als 50 Milliarden Euro jährlich. Davon arbeiten mehr als 130.000 landwirtschaftliche Arbeitskräfte in Niedersachsen – dies geht aus einem Vergleich mit den Bundesländern vom Statistischen Bundesamt hervor. Auch wenn die Landwirtschaft immer noch eine Männerdomäne ist, trauen sich auch immer mehr Frauen in den Berufszweig. Elisa Robrahn ist auf einem Hof in der Nähe von Lübeck groß geworden. Nach ihrer Ausbildung zur Agrarwirtschaftlich-technischen Assistentin, entscheidet sie sich für die Landwirtschaft mit großen Anbauflächen und leistungsstarken Maschinen, außerhalb von Gewächshaus, Parzellen- und Laborarbeiten. Jetzt studiert sie Agrarwissenschaften in Kiel. Ihre Freizeit verbringt sie auf dem Hof ihrer Eltern und träumt davon, später ihren eigenen Hof zu führen.
Ein Landwirt ernährt 144 Menschen
Die berufliche Tätigkeit in der Landwirtschaft erfordert viele unterschiedliche Kompetenzen. Bei 90 Prozent der Haupterwerbsbetriebe stehen Fachkräfte an der Spitze. Diese haben eine Landwirtschaftsschule besucht, ihren Meister gemacht, Agrarwissenschaft oder Ähnliches studiert. Neun von zehn landwirtschaftlichen Betrieben werden von den Besitzern und den Familien selbst geführt. Der Anteil der Pächter liegt bei 60 Prozent. Heute haben sich etwa 86 Prozent der Betriebe spezialisiert auf Ackerbau oder Tierhaltung.
Noch vor 70 Jahren war fast jeder fünfte in der Landwirtschaft tätig. Die Situation veränderte sich als Traktoren, Melkmaschinen und Mähdrescher aufkamen. Die Landwirte konnten mehr in weniger Zeit erledigen, somit auch mehr Ackerfläche und Tiere halten. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte ein Landwirt zehn Menschen ernähren, heute kann er schon 144 Menschen ernähren. Das geht aus einer Untersuchung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft hervor. Dies ist nur möglich durch die Weiterentwicklung der Produktionsweisen: modernere Maschinen, Ställe, Zuchtfortschritte bei Pflanzen und Tieren, Pflanzenschutz und Mineraldünger. Dadurch erzielen Landwirte stabilere und höhere Erträge. Die Arbeit für die Landwirte ist dadurch in den letzten Jahrzenten deutlich leichter geworden und die Qualität der Erzeugnisse gestiegen. Das macht die Arbeit effektiver und günstiger, dennoch treten einige negative Begleiterscheinungen der Spezialisierung auf. Vermehrt kommt es zu langen Tiertransporten, die Biodiversität verringert sich, die Abhängigkeit gegenüber den Preisschwankungen auf den weltweiten Märkten, auf denen Milch, Mais, Fleisch oder Weizen gehandelt werden, wird größer. Weniger Betriebe und Beschäftigte erzeugen immer mehr Lebensmittel. Scheinbar ein Paradox. Doch die Betriebe werden immer größer, leistungsfähiger und wirtschaften effizienter. Die volkswirtschaftliche Bedeutung ist gesunken. Unseren Wohlstand erwirtschaftet heute der Maschinen- und Fahrzeugbau.
Glücksmomente auf dem Acker
„Man sagt ja immer, man wird als Landwirt geboren“, erzählt Anton Fuchs in seinem Elternhaus, das in einem fränkischen Dorf direkt an den Feldern liegt. Gerade ist er mit seiner Ausbildung zum Landwirt fertig geworden. „Als vierjähriger Junge durfte ich öfters auf den Feldern an unserem Haus Trecker mitfahren. Das hat viel dazu beigetragen, dass ich schon als kleiner Junge Landwirt werden wollte.“ Vor zwei Jahren war er für zwei Monate in der Erntezeit in Kanada. Die vielen Erfahrungen auf einem anderen Kontinent haben ihn so fasziniert, dass er dieses Jahr eine ganze Saison miterleben möchte. Nebenbei verbessert er so auch seine Sprachkenntnisse. „In der Landwirtschaft macht mir besonders Spaß, dass ich morgens aufstehe und nicht weiß, was der Tag bringen wird. Jeder Tag ist anders und jeden Tag kann man etwas Neues erleben. Am Ende eines Arbeitstages sieht man, was man geschafft hat. Auch die Bestätigung der Natur zu bekommen, dass man beispielsweise die Aussaat richtig ausgebracht hat und aus dem kleinen Saatkörnern, große Pflanzen wachsen. Diese Glücksmomente motivieren mich jeden Tag aufs Neue.“

Haupterwerbstätige Landwirte machen jährlich einen Gewinn von durchschnittlich knapp 56.000 Euro, das sind rund 4.667 Euro im Monat. Mal ist es mehr, mal weniger. Die Einkünfte schwanken stärker als früher. Die Preise, die für Milch und Fleisch bezahlt werden, verändern sich jährlich, wie auch die für Saatgut, Dünger und Futtermittel. Der Weltmarktpreis zählt. Zusatzeinkommen bringen die EU-Fördermaßnahmen, der Bund und die Länder. Viele Landwirte haben ihr Arbeitsfeld in den letzten Jahren erweitert, wie BMEL-Zahlen belegen. Einige Landwirte stellen ihre Ackerflächen für Windräder und Solaranlagen zur Verfügung. Vor allem produzieren sie Biomasse, das sind Energiepflanzen wie Raps, Mais, Reststoffe und Nebenprodukte wie Gülle oder Stroh. Daraus wird Wärme, Strom und Kraftstoff erzeugt – nicht gerade Dinge, die positiv zum Umweltschutz und natürlichen Anbauverfahren beitragen. Pflanzen, die in Monokultur angebaut werden, sollten dennoch in Fruchtfolgen eingegliedert werden, um Erosion, Schädlingsbefall oder eine einseitige Nähstoffverarmung der Böden zu verhindern.
„Es gibt nichts Schöneres, als in der Natur immer wieder etwas Neues zu entdecken, besonders als leidenschaftlicher Jäger“, schwärmt der Agrarstudent Florian Schulz, als er gerade mit der Drillmaschine die Erbsen ausbringt. Die Liebe zur Landwirtschaft hat er in die Wiege gelegt bekommen, auf dem Hof seiner Eltern hilft er jede freie Minute mit. Nach seinem Bachelor möchte er den Ackerbaubetrieb seiner Eltern nahe Güstrow übernehmen. „Die Landwirtschaft macht es für mich besonders, die vielfältigen Aufgabenbereiche im Laufe eines Jahres und die große Verantwortung und Versorgung gegenüber der Bevölkerung.“
Landwirtschaft betrifft uns alle
Wenn die Prognosen des Bundeslandwirtschaftsministeriums zutreffen, werden 2050 nicht mehr rund sieben, sondern mehr als neun Milliarden Menschen auf der Welt leben. Sie werden mehr Nahrung benötigen und mit dem wachsenden Wohlstand auch höhere Ansprüche entwickeln, etwa an Fleisch und Milchprodukten. Bis 2050 müsste die Agrarproduktion um zwei Drittel gesteigert werden. Bislang gehen weltweit jährlich jedoch rund zwölf Millionen Hektar Agrarfläche verloren – vor allem in den Entwicklungsländern. Die Ursache sind Überweidung, ungeeignete Anbaumethoden, Erosion oder Straßen- und Städtebau. Setzt sich der Trend fort, würden in den nächsten 25 Jahren die Ernten um bis zu zwölf Prozent sinken. Insbesondere Wasser, fruchtbare Böden und die Artenvielfalt müssen intelligenter und vor allem effektiver genutzt und erhalten werden.
Die Anforderungen an die Landwirtschaft steigen. Dazu sind qualifizierte junge Landwirtinnen und Landwirte nötig. Denn Landwirtschaft leistet einen wichtigen Beitrag für die Ernährungssicherung, Rohstoff- und Energiegewinnung. Auch wenn sich die meisten von uns nicht vorstellen können, in der Landwirtschaft zu arbeiten, gibt es einige junge Menschen, die von einem Leben in der Landwirtschaft träumen. Und nicht alle, die eine Ausbildung oder ein Studium im Agrarbereich absolvieren, sind auf einem Hof aufgewachsen. Dass die Zahl der Studierenden im Bereich Agrarwissenschaft in den vergangenen Jahren gestiegen ist, ist wichtig, denn die Gesellschaft benötigt qualifizierte Fachkräfte, um weiterhin die Ernährung zu sichern.
„Landwirtschaft betrifft uns alle. Sie ist die Basis unserer Lebensmittel“, sagt Elisa Robrahn. Sie findet es schockierend, wie viele Menschen glauben, sie hätten nichts mit der Landwirtschaft zu tun. „Es ist traurig, sehen zu müssen, wie wenig Anerkennung und Wertschätzung wir als Landwirte von der Gesellschaft bekommen.“
