Schon seit Äonen hinterfragen wir alles um uns herum. Misstrauen ist ein wichtiger Bestandteil unserer Natur und kann wahrscheinlich als Mutter der Verschwörungstheorie gesehen werden. Es war und ist ein notwendiges Übel mit dem wir unser Überleben sichern, denn ohne das Hinterfragen bestimmter Vorkommnisse und Phänomene ist ein tödlicher Fehlschritt wahrscheinlich. In einem Video auf Planet Wissen mit dem Titel „Die Geburt einer Verschwörungstheorie“ wird gezeigt, wie schnell Misstrauen zu säen ist und zu einer Verschwörungstheorie heranwachsen kann. Jedoch ist eine Verschwörungstheorie nicht direkt gleichzusetzen mit gewöhnlichem Misstrauen. Einfach ausgedrückt handelt es sich hierbei vorrangig um Gerüchte und wie jedes gute Gerücht soll es nach Rolf F. Nohr, Professor an der HBK Braunschweig für Medienästhetik/Medienkultur, „interessant sein, einen Blick auf die Welt oder meinen Nächsten ermöglichen, die ich mir so nie vorstellen konnte“. Man kann eine Verschwörung überall vermuten und eine passende Theorie zu dieser stricken. Wird die Theorie zudem noch in einem guten Narrativ verpackt, so findet sie schnell Gehör und kann an die breite Masse gebracht werden. Hierbei sieht Nohr die Sprache als das wichtigste Medium für Verschwörungstheorien und zitiert Laurie Anderson mit den Worten „Language is a virus from outer space“. Ob denn nun der Theoretiker oder die Theorie selbst für die Verbreitung verantwortlich ist, lässt sich nicht so leicht beantworten. Nohr sieht vielmehr die Widerlegung als Hauptverantwortlichen. Verschwörungstheoretiker finden sich in recht geschlossenen Communities wieder, erst durch die Offenlegung und daraus folgender Widerlegung Dritter wird sie nach außen getragen. „Widerlegung bedeutet, dass ich diese [Verschwörungstheorien] zitieren muss und damit transportiere ich sie in eine andere Community.“ So markiere man sie zwar mit einer Widerlegung, wirke sich jedoch direkt auf die Verbreitung aus. Hierdurch wird der verfasste Text zum Vermittler. Wann genau die erste Verschwörungstheorie in die Welt gesetzt wurde kann man nicht festlegen, denn sie existieren wohl schon so lange wie es Zweifel und dementsprechend Misstrauen gibt.
Verschiedene Blickwinkel
An sich sind Verschwörungstheorien nichts Schlechtes, nichts Gefährliches. Viele sehen sie als interessante Erzählungen, die mal mehr und mal weniger Mehrwert mit sich bringen. Andere betrachten sie jedoch schlicht als Unsinn, mit dessen Abwesenheit die Welt ein besserer Ort wäre. Lügen, die dazu genutzt werden, seine Gegenspieler zu verleumden und Zwietracht zu sehen.
Wahrlich können Verschwörungstheorien instrumentalisiert werden. Dennoch mag sie mancher gar als eine wertvolle Ergänzung eines Lösungsansatzes sehen. Die Entschlüsselung einer verborgenen Wahrheit, die Suche nach dem letzten Puzzleteil um ein bestimmtes Bild zu vervollständigen. Aus diesem Grund betrachten sich viele VerschwörungstheoretikerInnen auch als sogenannte WahrheitsfinderInnen. Vom Begriff VerschwörungstheoretikerIn distanzieren sie sich stark. Sie sehen sich als AufklärerIn, die den Schleier durchstoßen wollen und das Verborgene dadurch ans Licht bringen. Auf der Seite transinformation.net, welche Verschwörungstheorien stark zugeneigt ist, steht geschrieben: „es gibt Menschen, die wach sind, die wissen, was in der Welt vor sich geht; sie sind aufgewacht und haben die Wahrheit gesehen“. Sie sollen „recherchiert haben und ihr Wissen [nutzen], um anderen zu helfen“. Menschen außerhalb der Community werden da meist als Irregeführte oder Mitläufer gesehen. Schafe, die durch ihr verklemmtes Weltbild die Realität nicht zu erkennen vermögen.
Diese Annahme ist jedoch mit Vorsicht zu genießen, denn unser Misstrauen kann sowohl für als auch gegen uns spielen und in vielen Fällen zu einem wirren Weltbild ausufern. Dieses Weltbild kann genutzt werden und den Verstand vernebeln. Die Suche nach einer Wahrheit rückt hierbei in den Hintergrund. Wenn Angst und Zorn noch mit einfließen, dann gleicht das Resultat einer gefährlichen Vorstellung. Hierbei sei jedoch auch vermerkt, dass das blinde Vertrauen in eine Sache ohne die gesunde Dosis an Misstrauen, nicht weniger zu einer gefährlichen Vorstellung führen kann. Wer nicht hinterfragt, kann genauso schnell in eine Echokammer fallen. Verschwörungen existieren, doch nicht immer da wo es selbsternannte WahrheitsfinderInnen sehen. Letztendlich sollte man bei den Theorien differenzieren und nicht alle gleichstellen. Die Extremen stechen jedoch nur allzu sehr aus der Masse und werden als repräsentative Fallbeispiele genutzt. Von Reptiloiden, welche die Politik unterwandert haben und im Hintergrund die Strippen ziehen, bis hin zu der Flacherde, welche den Glauben an eine Scheibenwelt fortbestehen lässt. Dies führt zu einer sehr negativen Haltung gegenüber Verschwörungstheorien. Verständlich, wenn man die Extremen betrachtet, jedoch auch ein Verlust, wenn man die Interessanten und teils Fassbaren, wie dem Kennedy Attentat, dadurch übersieht. Wahrlich sollte man an alle Theorien mit Skepsis rangehen, selbst die Glaubwürdigsten sind schlussendlich nur Annahmen, die nur wenig feste oder – in vielen Fällen – gar keine Belege vorweisen können.
Vom Umgang mit der Situation und dem Weltbild
Es ist kompliziert über sein eigenes Weltbild zu blicken und dem Gehör zu schenken, was für einen selbst unglaubwürdig erscheint. Jeder Mensch schafft sich im Laufe seines Lebens schließlich durch sein Umfeld und gewonnen Erfahrungen eine eigene Realität und Wahrheit. Es ist schwierig diese entstandenen Eindrücke zu ändern. Unmöglich gar. Dies kann man auf jeden Menschen beziehen, egal woher man kommt, oder an was man glaubt. In einem Artikel von Felix Kruppa findet sich ein gutes Zitat der Psychologin Dorothe Kienhue, welches dieses Dilemma anhand eines Beispiels erfasst. So sagt sie, dass es „für einen tiefreligiösen Menschen [...] sehr schwer sein [kann], unvoreingenommen über embryonale Stammzellenforschung zu diskutieren“.
Das Höhlengleichnis von Platon beschreibt dieses Phänomen wohl am besten. Hierbei sind in einer Höhle die Schatten an der Wand die Realität der Gefangenen, welche dort ihr ganzes Leben verbracht haben. Zugewandt dem Schattenspiel, unwissend der Existenz des Feuers, dem Ursprung der Schatten und der Außenwelt selbst, formen sie ihre eigene Wahrheit. Würde man dem Gefangenen das Feuer zeigen, oder von der Welt außerhalb der Höhle berichten, so würde er sich schlicht wieder der ihm bekannten Wand zuwenden und das Gesagte oder Gezeigte als Unsinn abtun. Die Idee, die ihm bekannte Welt sei eine Lüge, ist für ihn nicht fassbar. Sie erscheint ihm fremd und unglaubwürdig. Wir alle sind Gefangene unserer Realität und lassen uns nur schwer von dieser abbringen. Das Weltbild lässt sich kaum ändern, wenn es sich einmal im Kopf festgesetzt hat. Alles von außerhalb wird ausgeblendet.
Befreit sich jedoch nun einer der Gefangenen und schafft es die Höhle hinter sich zu lassen, so ist er der Außenwelt und dem Sonnenlicht ausgesetzt. Er sieht hinter die Kulissen und kann sich einer neuen Realität öffnen. Dies muss jedoch auf freiwilliger Basis passieren, erzwingen darf man nichts. Wenn man nun versucht gegen extreme Verschwörungstheoretiker vorzugehen, so ist demnach ein Verbot keine Lösung.
Der Fall Alex Jones ist hierbei ganz interessant. Ein Theoretiker, welcher erst im vergangenen Jahr auf YouTube, Facebook und Apple gesperrt wurde. Jones war bekannt für seine recht abstrusen, teils von Hass erfüllten Beiträge. Seine Reaktionen galten für viele jedoch als unterhaltsam und er wurde durch seine Ausbrüche schnell zu einer kleinen Berühmtheit auf YouTube. Nohr sieht Jones und dessen Plattform InfoWars als ein recht gelungenes Unternehmen an, welches sich seiner Auffälligkeit bediene und diese zu verkaufen weiß. Man solle Jones nicht unterschätzen, da es sich hierbei nicht um einen gewöhnlichen Verschwörungstheoretiker der Extremen handelt. „Was wir in Europa gerne übersehen ist, dass es ein gut funktionierendes Unternehmen ist. Er (Jones) ist jemand, der [...] sagt: ich betreibe ein Aufmerksamkeitsunternehmen“.
Dies bedeute jedoch keinesfalls, so Nohr, dass Jones „nicht an das glaubt, was er sagt“. Auch haben sich in der Gefolgschaft von Jones viele Menschen gefunden, die seine Ansichten teilen, Menschen, die der derzeitigen Medienwelt misstrauen und InfoWars als perfekte Alternative sehen. War das Blockieren der Konten von InfoWars und Alex Jones legitim? Ja und nein. Nach Angaben der Firmen verstieß Jones offenbar gegen deren Richtlinien. Der richtige Weg um gegen ein solches Extrem vorzugehen ist dies jedoch nicht. „Es gibt einen Grundsatz in offenen, aufgeklärten, pluralistischen Gesellschaften, dass jeder das Recht hat sich zu artikulieren. [...] Wenn Hassprediger wie Alex Jones eine Plattform haben, die gehört wird, dann ist das im Rahmen der gesetzlich definierten Meinungsfreiheit legitim“ so Nohr. Erst wenn sie gegen das Gesetz verstoßen sei es möglich, Maßnahmen gegen sie einzuleiten.
Wie bereits Evelyn Beatrice Hall sagte: Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. Wenn wir etwas gegen extreme VerschwörungstheoretikerInnen erreichen wollen, so müssen wir uns nach wie vor auf den Dialog miteinander einlassen.
