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Meinung und Haltung Für vierzehn Tage vegan leben

Immer mehr Menschen entscheiden sich dafür, ihre Ernährung auf vegan umzustellen. Was ändert sich für diese Leute im Alltag? Manel Mekadmi sucht für Campus38 die Antworten in einem zweiwöchigem Selbstversuch.

Worauf muss man achten, wenn man seine Ernährung auf vegan umstellt? (Quelle: iStock)

Die vegane Lebensart hat mich schon immer fasziniert. Ich bin begeistert und erstaunt, dass Menschen wie selbstverständlich auf sämtliche tierische Produkte verzichten können. „Das könnte ich niemals!“, waren immer meine Gedanken nach Gesprächen über die vegane Ernährung. Aber wieso ist man gleich so abgeneigt, wenn man es doch nie probiert hat, so zu leben? Weil es bequem ist, nicht auf tierische Produkte verzichten zu müssen? Oder weil man diese einfach viel zu gerne isst? Ich möchte wissen, wie es ist. Wie würde ich die zwei Wochen empfinden? Schaffe ich es überhaupt sie durchzustehen?

„Ich lebe ab sofort vegan!“ – nahezu bei jedem sorgt dieser Satz für Erstaunen, sogar fast für Empörung. Überall muss ich mich rechtfertigen, wieso ich mich nun so ernähren möchte: „Das kann doch nicht gesund sein!“ Um ehrlich zu sein, habe ich mich das auch sehr oft gefragt, ob diese Ernährung wirklich so gesund sein soll, wie es des Öfteren angepriesen wird.

Vegan einkaufen - das kann doch wohl nicht alles sein!


Mein Kühlschrank ist voll mit Dingen, die von nun an nicht mehr auf meinen Speiseplan gehören. Neues muss her. Veganes muss her. Einer der Seesener Supermärkte ist meine erste Anlaufstelle. Hier erhoffe ich mir mehr Vielfalt, als es in anderen Supermärkten der Fall ist. Da stehe ich nun vor einem drei Meter breiten Regal mit überteuerten veganen Produkten. Das kann doch wohl nicht alles sein. Gezielt greife ich nach Produkten, welche mir dem Namen nach zusagen. Vegane Leberwurst landet in meinem Korb. Die Verpackung sieht der normalen Leberwurst zum Verwechseln ähnlich und auch die Konsistenz sieht auf dem Bild ähnlich aus. Ob das schmecken kann? Ebenfalls gibt es Käse in einer veganen Art. Für ein veganes Brot laufe ich eine gefühlte Ewigkeit durch den Supermarkt. Bei den veganen Produkten ist es jedenfalls nicht zu finden. Überraschenderweise finde ich es zwischen Eiweißbroten und Vollkornbroten, ganz tief im Regal versteckt. Eine Butter fehlt noch in meinem Bestand. Diese ist nicht schwer zu finden. Die Verpackung sieht exakt so aus wie die einer normalen Butter. Selbst die Marke ist mir bekannt. Lediglich in einer kleinen gelben Schrift ist das Wort „Vegan“ zu lesen. Allmählich bekommt der Korb doch etwas Fülle und ich habe soweit alles zusammen, um vorerst überleben zu können. An der Kasse jedoch erschrecke ich: Fast zehn Euro für ein bisschen Butter, veganem Brot, veganer Leberwurst und veganem Käse.

Tag 1 – und ausgerechnet auf einer Goldenen Hochzeit


Es wird also ernst: Tierische Produkte gehören ab jetzt nicht mehr zu meiner Ernährung und ich verstecke sie ganz tief in den Schränken. Zu meinem ersten Frühstück bestreiche ich mein veganes Brot mit selbstgemachter Erbeermarmelade. Bereits nach dem zweiten Bissen dämmert es mir: Was ist eigentlich mit Gelatine? Habe ich bereits am zweiten Tag gesündigt? Ich überlasse dieses Brot also wortlos meiner Mutter und beginne meinen ersten Tag mit einem schlechten Gewissen. An was man alles denken muss, wenn man vegan lebt, überfordert mich regelrecht.

Heute steht ein großer Tag an und ich weiß, dass dieser wohl schwierig für mich werden könnte. Es ist die Goldene Hochzeit meiner Großeltern. Es gibt ein großes Buffet mit vielerlei Köstlichkeiten. An der einen Seite eine warme Tafel mit Putenfilets in Rahmsoße und Spätzle. Auf der anderen Seite steht bereits die Tafel mit dem Dessert. Hier finde ich Mousse au Chocolat und Vanille-Eis. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen und mein Magen knurrt stärker und stärker. Auf der Suche nach etwas, was ich essen kann, sprechen mich immer wieder Gäste an und fragen, wieso ich nichts essen würde. „Ich ernähre mich vegan!“ Diese Antwort stößt auch hier auf Unverständnis: „Na dann mach doch heute eine Pause davon.“ Dennoch ist mein Problem noch nicht gelöst. Was soll ich hier bloß den ganzen Tag essen? Ich entscheide mich für einen Teller mit Obst. Mir bleibt wohl nichts anderes übrig. Neben mir sitzen die Gäste, die sich einen Teller nach dem anderen holen und anschließend über volle Bäuche klagen. Zwischendurch vibriert mein Handy in meiner Tasche: Eine Freundin möchte wissen, wie die goldene Hochzeit ist – naja, wie soll sie schon sein?

Tag 2 – ein Brunch aus den Augen eines Veganers


So sehr ich mich früher immer auf Brunches gefreut habe, habe ich mich diesmal nicht gefreut. Wieder einmal bringe ich einen Riesenhunger mit. Der Tisch ist gedeckt mit vielerlei Köstlichkeiten. In der Mitte geziert von einem großen Salat mit Schafskäse. Es stehen viele Platten auf dem Tisch, gemischt mit Wurst und mit Käse. Bereits bei dem ersten Blick wird klar: Für Veganer ist hier nichts zu holen. Eine traurige Gewissheit, an die ich mich wohl gewöhnen muss. Mir bleibt hier also wieder nur Obst und Gemüse, welches eigentlich nur für die Deko der Käse- und Wurstplatten zählen soll. Auch hier bleibe ich von stechenden Fragen nicht verschont. Immer wieder kommen nahezu fremde Menschen zu mir, die sich plötzlich für meine Ernährung interessieren. Bemitleidende Blicke erreichen mich von allen Seiten. Ich kann es plötzlich gar nicht mehr abwarten nach Hause zu fahren, um mir etwas Veganes zu kochen, von dem ich auch satt werden kann.

Tag 3 – es kann nur noch besser werden


Mein drittes veganes Frühstück besteht aus veganem Müsli in Sojamilch mit Sojajoghurt und Bananen. Es erinnert ein wenig an eine hellbraune Pampe, die in der Milch aufgequollen ist. Die Bananen drum herum machen das Ganze ein wenig ansehnlicher. Die Sojamilch riecht nach Getreide. Der gewöhnlich, vertraute Duft einer Milch ist wie weggeblasen. Sie schmeckt sehr wässrig und leicht nussig.

Die stressigen Tage sind nun vorbei und es gelingt mir nun, mich voll und ganz darauf einzustellen, vegan zu leben. Zwischendurch schlage ich Bücher auf, um mich von Rezepten und Zutaten inspirieren zu lassen. Zum Mittag koche ich mir Chilli sin Carne. Das Gericht ist schnell zubereitet und landet sehr zügig auf dem Tisch. Es duftet nach Tomaten – wie eine leckere Tomatensauce auf Nudeln. Das Chilli sin Carne sieht auf dem Teller aus, wie ein übliches Chilli con Carne. Das Fleisch, welches eigentlich dort zu finden ist, scheint mit dem Tofu gut ersetzt zu sein. Die dunkelrote Farbe und der zerrupfte, hellweiße Tofu stellen einen ungewöhnlichen Kontrast dar. Dennoch sieht der Teller auf eine gewisse Art und Weise köstlich aus und auch mein Magen teilt mir nun mit, endlich zuzuschlagen. Ein erster Löffel. Dann ein zweiter. Es schmeckt sehr gut und in dem Moment denke ich gar nicht dran, dass mir hier Fleisch fehlen könnte. Es ist ein Gericht, welches ich mir gerne wieder kochen werde. Ja, ich kann mich nun tatsächlich mit dem Gedanken anfreunden, zwei Wochen vegan zu leben.

Ist man als Veganer ein Außenseiter?


Heute steht ein Besuch im Restaurant mit meinen Freundinnen an. Wir gehen in ein Restaurant in Goslar. Nahezu synchron schlagen wir die Speisekarten auf. Während sich meine Freundinnen entschlossen ihr Essen bestellen, bin ich immer noch damit beschäftigt, die Speisekarte zu inspizieren in der Hoffnung, etwas zu finden, was vegan zubereitet wird – vergeblich. Es bleibt bei einem grünen Salat mit einem einfachen Essig-Öl-Dressing. Meine Freunde bekommen inzwischen ihre Burger mit Pommes und bei diesem Anblick fängt mein Magen an zu knurren. Der Duft kommt zu mir und ich muss mich bemühen, mich mit meinem Salat zufrieden zu stellen. Es gibt fast kein anderes Gesprächsthema als meine Ernährung. Ich höre auf zu zählen, wie oft ich mich rechtfertigen muss.

Tag 7 – Halbzeit


Genau sieben Tage ist es nun her, dass ich angefangen habe, vegan zu leben. Besondere Veränderungen an meinem Körper? Außer Kopfschmerzen und Lustlosigkeit an diesem Selbstversuch merke ich nicht viele Veränderungen. Ich spüre die Lustlosigkeit in mir, ständig auf das zu achten, was ich essen darf und was nicht. In der vergangenen Woche habe ich bereits 2,5 kg verloren. Ich sitze am Tisch im Wohnzimmer. Mein Bruder sitzt mir mit einem Vanillejoghurt gegenüber. Wie gerne würde ich auch einen essen. Ich schlage ein veganes Kochbuch auf. Anschließend koche ich mir Gemüsereis mit Kokosmilch und Cashewkernen. Die Zutaten wie Ingwer, Cashewkerne, Fenchel, Gemüse und Reis gebe ich zusammen in einen Topf. Es riecht sehr angenehm. Der Geruch der Kokosmilch erinnert an diesem trüben Tag an den Sommer. Das Gericht sieht sehr appetitlich aus und wieder einmal habe ich ein Gericht gezaubert, welches ich so niemals gegessen hätte.

Es gibt viele Dinge, die man über die vegane Lebensweise hört, aber vor allem, dass sie gesund sein soll. Kann das wirklich sein? „Durch das Weglassen von Fleisch und Eiern fehlen dem Körper Vitamine, wie zum Beispiel Vitamin B12, und durch den Verzicht von Milchprodukten werden dem Körper nicht die Mengen an Kalzium geliefert, wie es eigentlich üblich ist und benötigt wird“, erklärt die staatlich geprüfte Diätassistentin Janina Paff. „Die Lösungen hier sind, dass Veganer sich sehr gut organisieren müssen und eventuell sogar zusätzlich Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen müssen, um die benötigte Menge an Vitaminen und Kalzium zu erhalten“, fügt sie hinzu. Ich entscheide, mich auf meinen Körper zu verlassen. Er wird mir schon mitteilen, wie ihm die Ernährung bekommt.

Tag 14 – der letzte Tag


Ich muss zugeben, dass ich die vergangenen Tage bis zum heutigen Tag gezählt habe. Endlich ist der letzte Tag gekommen. Ein letztes Mal bereite ich mir mein veganes Müsli zu. Ich esse es diesmal mit einem anderen Gefühl. Mit mehr Freude. Vielleicht, weil es das letzte Mal ist, dass ich das Müsli esse oder weil ich mich inzwischen schon an den Geschmack gewöhnt habe? Klar ist jedoch, ich kann es kaum erwarten, normale Milch zu trinken. Noch immer verziehe ich ungewollt das Gesicht, wenn ich Sojamilch trinke. Tatsächlich fand ich die letzten Tage auf eine gewisse Art und Weise Spaß daran, mich vegan zu ernähren.

Heute habe ich nicht viel Lust, etwas zu kochen. Also entscheide ich mich dafür, mein veganes Brot zu essen. Das Brot ist bestückt mit vielen Körnern. Belegt mit dem Käse würde keiner vermuten, dass dieses Brot vegan ist.Ich kann es kaum glauben, dass die Zeit endlich um ist. Wie sehr habe ich mich danach gesehnt, endlich wieder Dinge essen zu können, ohne vorher stundenlang die Inhaltsstoffe zu studieren. Mich überkommt das Gefühl von Stolz und ich bin glücklich, dass ich die zwei Wochen geschafft habe. Ich sitze nun am Frühstückstisch mit einem Nutellabrötchen und einer warmen Milch. Der Geschmack löst in mir wahre Freude aus. Ich blicke stolz auf die vergangen Tage zurück. Ich habe es tatsächlich geschafft zwei Wochen vegan zu leben. Nach der beschwerlichen Anfangszeit fand ich doch noch Spaß daran, mich vegan zu ernähren. Das Einkaufen und das Kochen bereiteten mir Spaß. Ich habe großen Respekt vor jenen, die diese Ernährung, oder eine andere Art und Weise der Ernährung, durchziehen und voller Überzeugung leben. Für mich ist diese Lebensweise auf lange Sicht allerdings nicht die richtige und ich bin tatsächlich froh, dass ich wieder essen kann, was ich möchte. Dennoch möchte ich diese Erfahrung nicht missen und bin froh, sie einmal gemacht zu haben. Mir wurde bewusst, wie viele tierische Produkte verwendet werden und wie viel Fleisch verzehrt wird. In Zukunft werde ich bewusster darauf achten, deutlich weniger tierische Produkte zu mir zu nehmen und an mehreren Tagen ganz auf Fleisch zu verzichten. Viel mehr Menschen sollten so einen Versuch für sich ausprobieren, um bewusster im Umgang mit Lebensmitteln zu werden, aber auch, um die vegane Lebensart als eine eigene, ganz individuelle Lebenseinstellung ansehen und verstehen zu können.